„From going nowhere to being now and here“ 

 The Fernweh Collective, Ocean Lovers Issue 2017



Leben am Meer | Zelten im Sommer | Baguette in Frankreich 

Ich hab' schon unzählige Versuche gestartet, über meine Zeit in Frankreich zu schreiben, deshalb weiß ich gar nicht, wie ich anfangen soll. Da sich die Süd-West-Küste mittlerweile wie ein zweites Zuhause anfühlt, wird im winterlichen Berlin der Kontrast zum Leben am Meer im Moment besonders groß. 
Die Atlantikküste zur zweiten Wahlheimat zu machen hat oft nichts mehr mit dem klassischen Urlaubsgefühl zu tun. Viele Menschen verbringen ihre Ferien mit nichts tun und stellen sich endlose Sandstrände und täglichen Sonnenschein vor. Die Zeit vor Ort als eine Reise zu bezeichnen, fühl sich auch nicht vollkommen richtig an, da man zwar täglich (mehr als einmal) seine Komfortzone verlassen muss und auch verschiedene Orte bereist, aber die tausend kleinen Städte, Märkte und Campingplätze schon so vertraut sind, dass man sie im Dunkeln mit dem Longboard abfahren kann. Die 1,5 Monate zwischen Bordeaux und Biarritz waren also eher ein Ortswechsel - und eine Realität, die nicht unterschiedlicher zum Leben in Berlin hätte sein können.

Doch wenn das Urlaubsgefühl überwiegend ausbleibt, man im Zelt mit den Spinnen um seinen Schlafplatz kämpfen muss und einige Tage damit verbringt, Zelt und Auto bei rauen Küstenstürmen festzuhalten - was bewegt einen dazu, so lange auf die warmen vier Wände in Berlin zu verzichten? 

Zelten und den eigenen Rhythmus wieder finden

Bevor Pommes und ich im August nach Frankreich aufgebrochen sind, hatte ich zunehmend das Gefühl, dass sich die Welt um uns immer schneller dreht. Man konsumiert den ganzen Tag Inhalte auf sozialen Plattformen und träumt sich in Welten, die nicht der eigenen entsprechen und erlebt täglich so viel, dass man sich schon einen Tag danach nicht mehr an die einzelnen Situationen erinnern kann. Auch wenn alles davor zweifellos ereignisreich und aufregend war, hat das Gefühl von der Zeit überrannt zu werden, die Überhand genommen. 
Wir haben unseren kleinen VW-Lupo also mit allen notwendigen Dingen ausgestattet, die es für ein Leben in der Natur braucht, wenn man mit einem kleinen Budget haushalten muss und darauf eingestellt ist, selbst zu kochen und möglichst viel Zeit in der Natur und auf dem Surfbrett im Wasser zu verbringen. Durch die letzten Jahre sind wir sehr routiniert und vergessen kaum etwas Wichtiges - umso ärgerlicher ist es, wenn die Luftpumpe für die Matratze am ersten Tag kaputt geht oder der erste kalte Abend kommt und die Wärmflasche nicht im Kofferraum, sondern auf dem Sofa zu Hause liegt. 
Zelten gehen braucht immer eine gewisse Routine - die ersten Tage sind chaotisch, die Kisten und Taschen durcheinander, eine Spinne im Zelt kann zu einem Nervenzusammenbruch führen und erstmal fühlt sich gar nichts nach entspanntem Urlaub an. Mit dem Sand muss man sich auch erstmal anfreunden - der ist überall, wo man ihn nicht gebrauchen kann und jeden morgen beginnt ein neues Glücksspiel, wie die Wetterbedingungen für den Tag sind. Schon am ersten Tag ist man dazu gezwungen, sich mit der Zeit auseinander zu setzen, die bestimmte Prozesse tatsächlich brauchen. Um morgens Kaffee zu kochen, kriecht man aus dem vom Tau nassen Zelt und fährt mit Longboard und Wasserkanister zur Wasserstelle und holt danach ein warmes, frisches Baguette. Zunehmend gelassener geht man den Kampf zwischen Streichholz, Gaskocher und der Meeresbrise an, die durch die Pinienwälder windet. 

Mit der Natur über die Wochen hinweg einen Rhythmus zu finden und zu akzeptieren, dass das Zusammenspiel von Wind und Meer einfach stärker ist als die Zeltstangen, ist definitiv ein Grund, campen zu gehen. Zu keiner Zeit im Jahr ist es möglich, so viel Zeit an der frischen Luft zu verbringen und sich mit allen Elementen auseinander zu setzen. Man eignet sich unglaublich viel Wissen an: man sieht Stürme aufziehen, lernt die Intensität der Sonne einzuschätzen und mit der eigenen Energie zu haushalten und dass Pinienwälder sozusagen die Palmen der Atlantikküste sind.  Gerüche sind intensiver, durch das Barfußlaufen spürt man den Erdboden unter den Füßen und es gibt keine Ablenkungen. Multitasking ist nicht möglich, man konzentriert sich lediglich auf den Vorgang, der in diesem Moment wichtig ist. 



Oft wacht man auf, weil es langsam hell wird. Den Sonnenaufgang zu beobachten ist magisch. Man kriecht dann aus dem Zelt, ein paar Tautropfen fallen auf den Kopf und für einige Sekunden verflucht man den noch eiskalten Sand. Aber spätestens wenn der Himmel in allen Farben strahlt und sich der Geruch von frischem Baguette über dem Campingplatz ausbreitet, ist der Tag angebrochen. 



Jeden Tag abwechslungsreich zu kochen ist gar nicht so einfach, wenn man nur eine Herdplatte aka. Gaskocher hat, der bei zu starkem Wind ständig ausgeht. Hier helfen vor allem One-Pot-Gerichte, ein ordentliches Frühstück und viel Geduld. 








Das war unser Lager in Vieux-Boucau. Noch am gleichen Tag haben wir die stürmischen Überreste des Hurricanes aus Florida abbekommen und da unser Lupo zu klein war um das Lager vor Windböen zu schützen, haben uns glücklicherweise Freunde mit ihrem VW-Bus geholfen, die stärksten Böen abzuhalten. Ansonsten hätten wir warscheinlich im Klohäuschen übernachten müssen. 


Das Meer und Surfen

Ein zweiter Grund, den Zeltplatz als Heimat zu wählen, ist natürlich das Meer. Die erste Woche in Frankreich haben Pommes und ich damit verbracht, ein Surfbrett zu finden, das für unser Können geeignet ist. Surfen ist einfach die ideale Möglichkeit, um sich der Natur anzupassen, ohne ihr zu schaden. Das Meer ist so gewaltig und egal mit wie viel Energie und Zuversicht man dem Wasser entgegenläuft, die Wellen können einem den Boden unter den Füßen wegziehen und nach jeder Session hat man etwas gelernt - im Sinne eines technischen Fortschritts, über das Meer oder über die eigenen Überwindungsängste. Für mich ist es immer noch der größte Schritt aus meiner Komfortzone heraus, mit dem Brett ins Wasser zu laufen. Ich bin sehr ängstlich und sobald meine Füße keinen Boden mehr spüren, ich mich auf meine Paddelkraft verlassen muss und durch die Wellenberge pflüge, bekomme ich Herzklopfen bis zum Hals und nicht selten drehe ich um, ohne eine Welle zu surfen. Doch jedes mal wird es besser und die Überwindung lohnt sich. Es gibt, glaub ich, nichts, was einen mehr wachsen lässt, als die eigenen Grenzen zu überwinden. 
Auch abgesehen vom Surfen (wer Frankreich kennt, weiß, dass der Atlantik und seine Sandbänke sehr launisch sind, weshalb man immer eine Alternative zum täglichen Surfprogramm haben sollte) fühlt sich das Meer nach purer Freiheit an und es gibt keinen Ort für mich, der mich so die Zeit vergessen lässt. 


An dem Abend, an dem wir zum ersten Mal mit unseren eigenen Brettern in die Wellen gesprungen sind, war die Sonne schon fast hinter dem Horizont verschwunden. Es gab noch Licht für ungefähr eine halbe Stunde, das Wasser war angenehm warm, die letzten Lichtstreifen wurden auf der Oberfläche reflektiert und die Menschen waren nur noch Silhouetten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele Glückshormone gespürt und Vitamin D aufgesaugt zu haben. 




Wenn man aus dem Wasser kommt, friert man im August und September auch am Abend realtiv selten. Salzwasser läuft über die Haut, die Haare kleben am Körper und die Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Wenn man die Treppen über die Düne mit dem Brett unter dem Arm hochgeht, treffen sich die Blicke mit den Menschen, die in der Strandbar sitzen, ganz klischeehaft mit einem Glas Rotwein und einer kleinen Käseplatte. In dem Moment sind irgendwie alle gleich und verstehen sich ohne Worte. 









Wenn die Wellen es nicht zuglassen haben surfen zu gehen, sind wir meistens mit Bodyboard, Flossen und Taucherbrille in die unberechenbaren Wellenberge getaucht und haben uns angesehen, wie es so ausieht, wenn eine Welle bricht. Gerade wenn man, wie ich, dazu neigt panisch zu werden, wenn eine Welle auf einen zukommt, die größer ist als man selbst ist es so hilfreich, die Luft anzuhalten, unter der Welle durchzutauchen und unter Wasser die Augen zu öffnen. An einigen Tagen ist das Wasser glasklar und man sieht Lichtspiele und Farbfacetten, die es sonst nur in Surffilmen gibt. Das hemmt die Angst ein kleines bisschen und hinterlässt Atemlosigkeit und ein Gefühl der Überwältigung, das Wasser mit anderen Augen zu sehen. 



Die Menschen 

Der dritte Grund, gewohnte Gefilde zu verlassen und sich einige Zeit mit Sand im Zelt und dem Campingkocher zu beschäftigen, sind auf jeden Fall die Menschen und der Lebensstil. Wenn ich an die vergangenen 6 Wochen denke, muss ich lachen und erinnere mich sehr genau und detailliert an so viele Abende mit endlosen Kartenspiel-Runden, Bierpong mit sandigen Tischtennisbällen und Flunkyball-Turnieren am Meer. An Frühstück zu 6. am kleinen Campingtisch mit Baguette und Brie, an glatte Straßen im Pinienwald zum Longboarden bei Sonnenuntergang, vier Surfbretter auf dem Dach von unserem Lupo zu befestigen, über Stunden Muschelketten knüpfen, Picknick am Strand, Carverboards auf dem Basketballplatz testen und an Tage, an denen wir unser Lager unermüdlich auf- und abgebaut haben, um zu einem neuen Campingplatz aufzubrechen. 
Verrregnete Nachmittage zusammen in einem 6 Quadratmeter-Pavillion zu verbringen und abwechselnd die Zeltstangen festzuhalten während alle Hunger haben, ist ein sehr strapazierender Test für alle Freundschaften der Welt. Genau an solchen Tagen wird einem klar, was man gerade zusammen erlebt und lernt die Charakterzüge von jeder einzelnen Person kennen, ob man will oder nicht. Es gibt kein Verdrängen, keine vorgespielten Emotionen und das alles erfordert viel Teamarbeit. Man merkt, mit wem man welche Interessen teilt und welche Stärken helfen, um bestimmte Situationen wieder in den Griff zu bekommen.
Ich hatte das Glück, diesen Sommer mit unglaublich vielen herzlichen, offenen und schnell zu begeisternden Menschen zu verbringen und bin so dankbar dafür. Ich weiß nicht, ob es am Ort liegt, an der Kombination der Menschen oder an den gemeinsamen Interessen, die alle teilen, aber ich hatte das Gefühl, dass das Wettbewerbsdenken für ein paar Wochen ausgeschaltet wurde und sich einfach alle unterstützt haben. 


Falls ihr das lest: ein fettes Danke an Pommes, Marvin, Ella, Niki und Anna für die Zeit und an das Wavetours-Team in Vieux, das uns so herzlich aufgenommen hat wie letztes Jahr. <3 
Ach ja, falls ihr was sucht: Zweite Schublade! #riderzonthestorm
















soetwas findet man übrigens auch nur in Frankreich - der süßeste Vintagestore, den ich je gesehen habe. Zauberhaft ausgewählte Stücke, unterwegs in einem Wohnwagen.




#bodyboarderzz






danke für's Lesen. Wer auch immer es bis hierhin geschafft hat: ich hoffe, Du konntest die Bilderflut genießen und dich ein bisschen in meinen Alltag an der frischen Luft einfühlen. Und damit zurück nach Berlin. 

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